Rolf Najork: „Die richtige Idee zu haben, ist nicht einmal die halbe Miete!“

[Interview: Anke Pegel] Rolf Najork ist Leiter Entwicklung Getriebesysteme und Elektrische Antriebe in der Schaeffler Gruppe. Das Unternehmen ist für sein Ideenmanagement bekannt. Rolf Najork erklärt, was ein Ingenieur braucht, um zum Visionär zu werden – und wie Erfindungsreichtum Plagiaten vorbeugen kann.

Herr Najork, als Sie bei Schaeffler angefangen haben, hat ein Kollege Sie als „ausgesprochen visionär“angekündigt. Woher kommt dieses Image? Ich denke, visionär bedeutet, man hat einen sehr weiten Blick, bis zum Horizont oder auch ein Stück weit dahinter. Dabei muss man sich aber nicht nur mit den Möglichkeiten der Technik befassen, sondern auch mit den gesellschaftlichen Veränderungen und den Marktentwicklungen. Wenn Sie visionär agieren wollen, reicht es zudem nicht, die richtige Idee zu haben, das ist nicht einmal die halbe Miete. Echte Visionäre erkennt man daran, dass sie Ideen hatten, die sich auch umsetzen ließen und hinterher zu einem großen Erfolg wurden.

"Die richtige Idee zu haben, ist nicht einmal die halbe Miete." Schaeffler-Manager Rolf Najork
„Die richtige Idee zu haben, ist nicht einmal die halbe Miete.“ Schaeffler-Manager Rolf Najork

Konnten Sie Ihre Visionen bisher verwirklichen? Ja, ich denke, wir haben eine Menge verwirklicht. Als ich Anfang der 2000er Jahre bei Ford und später bei Getrag gearbeitet habe, waren wir zum Beispiel Hersteller reiner Handschaltungsgetriebe. Ich sah damals schon: Der gesellschaftliche Trend wird mehr in Richtung Automatisierung gehen, aus Komfort-, aber auch aus Emissions- und Abgasgründen. Daraus habe ich dann zusammen mit Kollegen eine technologische Vision entwickelt, und die haben wir in den folgenden Jahren Stück für Stück umgesetzt. Wir haben Doppelkupplungsgetriebe, Hybridfahrzeuge und Range Extender gemacht. Da war der Zyklus von der Vision bis zur erfolgreichen Implementierung am Markt durchlaufen.

Welche Trends werden in Zukunft eine Rolle spielen? Natürlich ist E-Mobilität im Automobilbereich im Moment ein Riesenthema. Aber auch Automatisierung wird eine Rolle spielen, die Kopplung von Informationstechnologien mit Maschinen- und Autobau. Da käme dann möglicherweise die Vernetzung von Smartphones als integraler Bestandteil eines Autos, nicht nur mit Bluetooth und Gegensprechanlage. Ein anderes Thema ist der Weg zurück in die Werkstofftechnologien, den Leichtbau und die Rohstofferzeugung. Denn mit den neuen Technologien müssen auch neue Rohstoffe produziert und verarbeitet werden.

Was braucht ein Visionär dringender: einen langen Atem oder ein dickes Fell? Ich glaube, er braucht vor allen Dingen ein dickes Fell. Denn ein Visionär muss kritikfähig sein, das heißt aber nicht, dass man unsensibel ist. Man muss sich ja permanent selbst hinterfragen. Gerade wenn Sie im visionären Raum unterwegs sind, bewegen Sie sich in einem Raum, in dem es keine Sicherheiten gibt. In diesem Raum können Sie nicht einfach eine Idee entwickeln und mit Macht vorantreiben, sondern Sie müssen Ihre Idee und Ihre Strategie immer wieder hinterfragen: Sind die Rahmenbedingungen noch gegeben, bin ich noch auf dem richtigen Weg? Man wird mitunter feststellen, dass man nicht auf dem richtigen Weg ist. Und da hilft es einem, wenn man kritikfähig bleibt und auch bewusst das Feedback sucht, sich mit vielen unterschiedlichen, auch gegensätzlichen Meinungen befasst. Und ein dickes Fell hilft auch dabei, sich bei Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen.

Ist ein visionäres Denken für Führungskräfte im Maschinenbau oder in der Automobilentwicklung generell unerlässlich oder gibt es auch Arbeitsfelder, wo anderes wichtiger ist? Die Welt kann nicht nur aus Visionären bestehen. Es gibt leider oft Leute, die weit nach vorne denken können, denen aber der Pragmatismus zur Umsetzung fehlt. Das Umsetzen einer Idee ist ja zum Teil auch mit erheblichen Schmerzen und Anstrengungen verbunden. Und dazu braucht man Leute. Die Königsdisziplin ist für mich allerdings, wenn man sowohl visionär unterwegs ist als auch an sich selbst den Anspruch der Umsetzung stellt. Diejenigen, die beides können, machen heute meist sehr schnell eine außergewöhnliche Karriere.

Was erwarten Sie denn generell von Bewerbern? Das klassische Bild des Bewerbers ist ja: Der muss sein Fach gelernt und gute Noten haben. Das ist eine notwendige Voraussetzung, es ist aber nicht hinreichend, um am Ende wirklich erfolgreich zu sein. Ein wichtiger Aspekt für mich ist: Ein Bewerber muss in der Lage sein, sich in Organisationsformen und Teams sehr schnell zurechtzufinden, sich darin auch wohlzufühlen und mit Kollegen wirklich im Team zu arbeiten. In Unternehmen finden sich ja zum Teil sehr komplexe Matrix-Organisationsstrukturen. Man muss begreifen, warum es wichtig ist, in diesen Strukturen zu operieren. Zweitens: Ein Ingenieur muss nach wie vor höchst kreativ sein, aber er muss auch verstehen, dass man sich bei der Fertigung in Großserien bestimmten Entwicklungs- und Fertigungsprozessen unterwirft, die manchmal in Konflikt mit der Kreativität kommen. Diesen Spagat muss ein Ingenieur der Zukunft aushalten. Letzter Punkt: Wir brauchen Leute mit einer offenen Persönlichkeit. Ganz wichtig ist mir eine gewisse Globalität im Denken.

Aber deutsche Ingenieurskunst ist immer noch überall gefragt. Es gibt in Deutschland nach meiner Beobachtung jede Menge gute Ingenieure, die aber der Meinung sind, dass nur in Deutschland nach Ingenieursstandards gut gearbeitet wird. Sie gehen daher mit einem übergroßen Selbstbewusstsein an ein Thema heran und trauen Menschen in anderen Märkten nichts zu. Doch wir werden in Deutschland in Zukunft eine Ingenieurs-Knappheit haben, und wir sehen auch, dass die Märkte nicht nur global fertigen, sondern auch global entwickeln. Die Zukunft gehört denjenigen Ingenieurinnen und Ingenieuren, die in der Lage sind, sich dieser globalen Herausforderung zu stellen, indem sie vielsprachig sind und in der Lage, mit Entwicklern anderer Kulturen konstruktiv und wertschätzend umzugehen.

Sie haben bei Ford und in der Getrag-Gruppe gearbeitet und sind jetzt bei Schaeffler. Wie macht sich da bemerkbar, dass es ein Familienunternehmen ist? Ein ganz wichtiges Kennzeichen des Familienunternehmens ist die Langfristigkeit. Familienunternehmen sind nicht ausschließlich ergebnisgetrieben, sondern eher dazu bereit, in langfristigen Investitionszyklen zu denken. Insofern hat man in Familienunternehmen oft eine Umgebung, in der man neue Technologien angehen kann, die sich erst nach einer gewissen Zeit rentieren.

Schaeffler gehört bei Patentanmeldungen zu den Top Fünf in Deutschland. Wie kommt eine neue Idee zu Ihnen ins Büro? Die neue Idee muss nicht erst ganz oben abgeliefert werden, bis sie ernstgenommen wird, sondern die Mitarbeiter sind bei uns permanent dazu aufgerufen, neue Ideen zu entwickeln und dazu eine so genannte Erfindungsmeldung abzugeben. Diese werden bereits in den unteren Managementstrukturen gesammelt und gehen dann in eine Bewertung: Welche Projekte machen wir nächstes Jahr zu großen Vorentwicklungsprojekten? Das entscheiden wir einmal im Jahr, und wenn ganz tolle Ideen dabei sind, auch außerhalb der Regelzyklen.

Es gibt leider oft Leute, die weit nach vorne denken können, denen aber der Pragmatismus zur Umsetzung fehlt.

Was braucht ein erfindungsreicher Ingenieur zu dem Erfolg, dass seine Idee weiterverfolgt wird?Gute Erfinder und Ingenieure müssen auch die Kunst der Vermarktung beherrschen. Eine technische Idee ist nicht schon gut, wenn sie technisch gut durchführbar ist, sondern man muss sich auch überlegen: Passt sie in den Markt, ist sie herstellbar, macht sie ökonomisch Sinn? Auch innerhalb eines Unternehmens müssen Sie sich darauf einstellen, dass Sie diese Fragen relativ früh gestellt bekommen, wenn Sie mit einer Erfindung auftreten und sie vermarkten wollen.

Wenn die Erfindung dann tatsächlich aufgegriffen wird, wem gehört dann das Patent? Innovationen, die hier auf der Arbeit erfunden wurden, gehören dem Unternehmen, das ist gesetzlich so geregelt. Aber die Mitarbeiter werden nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz am Erfolg ihrer Erfindung beteiligt, wenn sie in die Serie geht und kommerziell umgesetzt wird.

Ist Ihnen schon einmal eine Idee geklaut worden? Nein. Als ich später im Management weiter aufgestiegen war, gab es Prozesse, in die ich Ideen hineingegeben habe und die Teams haben das dann weiterverfolgt, ohne dass ich mich daran beteiligt hätte. Aber dass mir Ideen geklaut worden sind, kann ich nicht sagen. Ich glaube, das ist keine nennenswerte Realität.

Aber im größeren Stil ist es ein Problem. Bei Produktpiraterie denkt man zuerst einmal an Modemarken. Ist diese Form von Ideenklau auch in der Getriebeentwicklung ein Problem?Produktpiraterie ist ein Problem. Vor allem in Ostasien müssen Sie damit rechnen, dass Ihre Produkte nachgebaut werden, weil es da auch ein anderes Rechts- oder Unrechtsempfinden gibt. In manchen der dortigen Kulturen ist es Tradition, gute Produkte nachzubauen. Für den, der kopiert wurde, ist das dann eine Ehre. Das können wir uns nicht so richtig vorstellen. Und es kollidiert natürlich mit unseren Rechtsvorstellungen und Marktinteressen.

Was kann man da tun? Zum einen erhebt man Patente und versucht, Kopien juristisch zu bekämpfen. Der zweite Weg erscheint mir aber erfolgversprechender: Je anspruchsvoller und komplexer die Systeme sind, die Sie machen, desto schwieriger ist es, sie zu kopieren. Im Bereich E-Mobilität oder Getriebe heißt das: Komponenten kopieren ist noch eine relativ einfache Übung. Aber je mehr die Produkte aus einer Kombination von Hardware, also klassischer Maschinenbau- oder Fahrzeugtechnologie, und Software, damit also Funktionalität und Sensorik, bestehen, desto schwieriger wird es, sie zu kopieren. Und damit ist auch der Weg unserer Industrie vorgezeichnet: Es bleibt uns eigentlich nichts anderes übrig, als komplexere, anspruchsvollere Systeme zu planen, um den technischen Abstand zu unseren Wettbewerbern zu halten und um Dinge zu kreieren, die eine solche Erfindungshöhe haben, dass es sich eigentlich nicht mehr lohnt, sie zu kopieren.

Zur Person

Seit Januar 2011 ist Rolf Najork Leiter Entwicklung Getriebesysteme und Elektrische Antriebe bei LuK, der Sparte für Lamellen- und Kupplungsbau in der Schaeffler Gruppe. Mit einem ganzheitlichen Ansatz bringt er dort gerade die Bereiche Automotive und Industrie im Systemhaus eMobilität zusammen. Der 49jährige studierte Maschinenbau an der TH Aachen. Seine Laufbahn im Spezialfach Getriebeentwicklung begann er 1991 in der CAE-Abteilung der Ford AG. Nach mehreren erfolgreichen Projekten wechselte er 2001 zu Getrag Ford Transmissions, wo er zum Executive Vice President Engineering aufstieg.

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