Wir Mangelverwalter. Oder: Wie schön es sich arbeiten lässt, wenn von allem genug da ist)

„" „Weißt du eigentlich, wie toll es ist, wenn du als Trainerin in die Firma deines Kunden kommst und es ist einfach von allem genug da? Also, genug Flipcharts und Pinnwände, genug Moderationsmaterial. Stifte, die schreiben! Es gibt genug Platz für alle Teilnehmer, also ausreichend Räume für Gruppenarbeiten. Das fühlt sich so gut an. Das ist auch eine Form von Wertschätzung, wenn du alles bekommst, was du brauchst. Oft heißt es ja: Waaas, Sie brauchen eine zweite Pinnwand?? Oha, da müssen wir aber erst mal schauen, woher wir die jetzt organisiert kriegen…“

Die Begeisterung meiner Geschäftsfreundin machte mir bewusst, wie unnormal das mittlerweile ist. Normal ist nämlich der Mangel.

Unten spart es sich am besten

Auch ich hab so meine Erfahrungen mit dem Mangel. Als ich gemeinsam mit einer Kollegin die Redaktion eines Fernsehmagazins geleitet habe, hatten wir von allem zu wenig: zu wenig (und zu schlechte) Kamera- und Tonausrüstung, zu wenig Sitzplätze und Computer (Ich erinnere mich, dass wir damals sogar nur zwei E-Mail-Adressen für unsere 16-köpfige Redaktion hatten. Aber OK, das waren die Neunziger… ? ), zu wenig Zeit und vor allem: zu wenige Leute. Eigentlich mussten wir immerzu gegen den Mangel ankämpfen, um einen guten Job zu machen.

Ich glaube, es war Michael Moore (korrigiert mich bitte, falls Ihr es besser wisst), der darauf hinwies: Wenn ein Unternehmen anfängt, am Kaffee zu sparen (oder an Mineralwasser oder Obst für die Mitarbeiter oder an den Kugelschreibern), dann ist das vor allem ein Signal an das Team: „Seht her, wie schlecht es uns geht! Wir müssen sparen. Und bei Euch fangen wir an.“

Ich kann mich noch gut erinnern, dass ein anderer, viel größerer Privatsender, für den ich auch mal kurz gearbeitet habe, unsere 40-köpfige Redaktion in ein neues Großraumbüro in einem anderen Gebäudeteil umsiedelte: Unter Protest wurden wir auf der Hälfte der Fläche zusammengepfercht. Da wir alle immer viel telefoniert haben, war es manchmal so laut, dass meine Gesprächspartner mich fragten: „Ach, sind Sie gerade im Kindergarten?“ Wenn ich mit dem Bürostuhl zurückrollte, stieß ich gegen die Lehne des Kollegen hinter mir. Wir nannten unseren Großraum nur noch „die Legebatterie“.

Naja, ich war dann bald weg. Trotzdem war ich noch interessiert genug, um kurze Zeit später in der Presse zu lesen, dass dieser börsennotierte Fernsehsender mal wieder seinen Gewinn um blablabla gesteigert hatte. Aber für uns, die wir das Programm produzierten – nebenbei bemerkt war unser Format das Aushängeschild des Senders – , war nicht genug Platz da.

Früher war mehr Lametta

Wenn man mit älteren Leuten ? spricht, dann hört man oft, dass früher mehr Geld für alles da war. Legendär waren bei meinen Ex-Kollegen die Geschichten aus der Zeit, als die Krankenkassen ihren Versicherten die Kuren hinterher schmissen. „Ach, Sie sehen blass aus, so eine Kur würde Ihnen ganz gut tun…“ Ich konnte das gar nicht glauben. Aber das Geld war halt da.

Und überhaupt war alles entspannter. So ab den Achtzigern, als der Shareholder value erfunden wurde, ging’s bergab. Laut Richard Sennett (2006) liegt das daran, dass sich damals die Realwirtschaft den Mechanismen des Finanzkapitalismus unterworfen hat. Mit anderen Worten: Die anständig erwirtschaftete Rendite eines soliden Unternehmens war nichts mehr wert – Investoren wollten ihr Geld möglichst SCHNELL vermehren.

Da ging es auch los mit dem „Schaulaufen“ – also Umstrukturierungen und Einsparungen, um Investoren zu beeindrucken und Aktienkurse in die Höhe zu treiben. Ob diese Maßnahmen wirtschaftlich oder gar sozial Sinn machten, war egal. Hauptsache, es sah gut aus. Ich vermute, das führte auch zum Aufstieg einer Kaste von Schaumschlägern, die vor allem für den schönen Schein zuständig ist.

Der Mangel als Normalzustand

Seitdem ist der Mangel (bzw. das „wirtschaftliche Optimum“, im Zweifel also das Billigste von allem – und davon auch bitte nicht zu viel) der Normalzustand. Die Kultur des Mangels ist bereits in Branchen eingesickert, die mit dem Aktienmarkt gar nichts zu tun haben.

Selbst in der Kantine der Rehaklinik bekam ich auf die Frage, warum eigentlich nie genug Trinkgläser für alle da seien, zur Antwort: „Wir haben einfach nicht genug Gläser für alle Patienten.“ Ich war kurz davor, zu IKEA zu fahren und 50 Gläser zu kaufen. (Dort kosten sechs Stück 99 Cent, was wieder ein anderes Thema ist.) Aber dann wurde mir klar, dass der Mangel auch hier Firmenphilosophie war: Welche Mitarbeiterin wird schon nach einer Gehaltserhöhung fragen, wenn sie doch weiß, dass noch nicht mal genug Geld für TRINKGLÄSER da ist?

Sinnlose Überlastung

Hinzu kommt die dauernde Überlastung der Mitarbeiter. Gunter Dueck beschreibt in seinem Buch „Schwarmdumm – So blöd sind wir nur gemeinsam“* das mathematische Phänomen der Warteschlange. Kurz gesagt ist eine Auslastung von 85 Prozent für jedes System optimal. Erhöht man die Auslastung auf 100 Prozent, bricht das System zusammen, weil dann die Wartung weg fällt und nicht mehr auf Überraschungen reagiert werden kann. Ich habe das in meinem Artikel Die Dummheit – das sind die anderen schon mal erklärt.

Dieser Auslastungswahn, der also mathematisch bewiesener Unfug ist, greift immer mehr um sich. So kam es wohl auch, dass in den Kliniken die zwischendurch im Schwesternzimmer Kaffee trinkenden Krankenschwestern abgeschafft wurden. Stattdessen gibt es jetzt das Modell Wenn-wir-ihr-Rollschuhe-anziehen-könnte-sie-noch-mehr-Patienten-pro-Stunde schaffen. Wahrscheinlich hat irgendeine Führungskraft, der nicht bewusst war, wie wichtig Kaffeetrinken ist, ein paar Schwestern herumsitzen sehen und sich gedacht „Ach, dafür haben sie Zeit!“ – zack, direkt mal eine Planstelle gestrichen. Kostenoptimierung und Überlastung sind zwei Seiten derselben hässlichen Medaille.

Mannomann, das sollte doch der Normalzustand sein, dass Leute in Ruhe Pausen machen können. Und dass sie pünktlich zum Feierabend nach Hause gehen. Dass sie alles bekommen, was sie brauchen, um ihren Job ordentlich machen zu können. Wir sind es nur nicht mehr gewöhnt.

Auch ich hab den Einsparwahn schon verinnerlicht. Als ich mal auf einem Geschäftstermin in einer Fabrik in Süddeutschland war, ging ich kurz aufs Klo. In der Kabine starrte ich fassungslos aufs Klopapier: Es war dick, samtweich und blütenweiß. (Ich heiße das natürlich nicht gut, dass für unsere Ärsche Bäume sterben müssen, aber darum geht’s hier gerade nicht.) Offensichtlich war hier noch kein Controller entlang gekommen und hatte es durch hauchdünnes Discount-Klopapier ersetzt.

Mein erster Gedanke war: „Denen geht’s wohl zu gut.“ Als ob das etwas Schlechtes wäre.

Linktipps:

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